WICHTIGE INFO
Mit 9 Monaten Verspätung unseres Umzugs sind wir im September 2024 in der Stadtwirtschaft angekommen. Wir bauen aktuell immer noch an unseren Räumen und grundlegender Infrastruktur und können deshalb keine offene Werkstatt anbieten. Besuch' unsere Homepage regelmäßig, um aktuelle Neuigkeiten von uns zu erfahren. Du willst trotzdem bei uns vorbeischauen? Gerne! Jeden ersten Mittwoch des Monats findet ein öffentlicher Rundgang statt. Ansonsten sind wir auch per E-Mail oder Terminanfrage für dich da.

Im Norden Frankreichs: ein Reisebericht

Von Mario Voigt, 27. April 2025

Inklusive Zukunft selbst machen!

April 2025: Die Stadtfabrikanten machen sich auf den Weg nach Frankreich zu einer ausgiebigen (Werkstatt)erkundungsreise. Das große Ziel: offene Werkstätten identifizieren, die Erfahrungen im Bereich von Inklusion und Schaffung von Barrierefreiheit tätig sind.

Außerdem wollen wir in einen Austausch treten, Ideen, Lösungen und Erfahrungen einsammeln und dann unseren eigenen Ort (Stadtwirtschaft) mit konkreten Ansätzen von Barrieren befreien und allgemeines Bewusstsein schaffen, die ein besseres Miteinander in Zukunft ermöglichen. Unsere Stadtwirtschaft hat aktuell noch sehr viele räumliche Barrieren.

Unsere Aktivitäten sollen im Sommer in Workshops bei uns in Chemnitz, zusammen mit französischen Gästen, weitergeführt werden.

Dabei stärken wir die bestehenden Strukturen zwischen Vereinen und Netzwerken und schaffen internationale Brücken durch Gemeinsamkeiten und treten für den europäischen Gedanken ein. Und wir geben unser gegenseitiges Wissen über Offene Werkstätten weiter.

Ein schöner Sticker, der uns vor einer Weile dabei über den Weg geklebt kam: “No Access, No Peace”

Mit diesem Aufgabenpaket haben sich 3 Leute von unserem Verein und unser gemeinsamer Vulca-Freund Axel aus Erlangen aufgemacht und dutzende Makerspaces und FabLabs in Frankreich besucht, um dem auf den Grund zu gehen.

So haben wir zwei Teams gebildet, die das Land mit Bahn und PKW durchstreifen. Heute schreiben wir dabei unseren Erfahrungsbericht der “Nord-Tour”, die Babette, Mario und zeitweise Axel vom ZAM Erlangen angingen. Vom 02.-12.04. waren wir dabei täglich auf Achse. Die zeitlich längere “Süd-Tour” hat Maik ebenso Anfang April gestartet und zwischendrin Axel als Springer von unserer Nord-Tour aufgegabelt.

Präsentation

Eine kurze, allgemein gehaltene Präsentation unserer Gedanken, die wir für unterwegs zur Unterstützung mitgenommen haben, findet sich in unserem HedgeDoc: https://pad.stadtfabrikanten.org/p/2025-dfbf

Reiseroute

Unsere Reiseroute für die “Nord-Tour” sieht auf der Karte so hier aus:

Mit Hilfe von GraphHopper erstellt. Klick hier für die interaktive Karte.

Mittwoch 02.04.2025

Reiseantritt - Fahrt von Chemnitz nach Rennes

3 Uhr morgens aufgestanden, beg[r]aben wir uns zum Lieblingszug von Chemnitz nach Leipzig und von dort aus mit dem ICE nach Paris. Nach ein paar mentalen Kämpfen mit anstrengenden Ticketautomaten, RATP-Apps und überfüllten Metrostationen mit moderatem Battle-Arena-Feeling erreichten wir auch schon gegen 19 Uhr und mit Umbuchung der Fahrt inklusive 3 Stunden Verspätung unseren ersten Zielort in Frankreich: die Stadt Rennes. Rennes ist eine relativ junge, dynamische, chemnitzgroße Universitätsstadt mit rund 230.000 Einwohner/innen und einer fabelhaften Altstadt.

Angekommen!

Dort angekommen winkte uns schon wenig später ein sympatischer Typ mit gelber Mütze zu: Hugues Aubin - der erste aus unserem Kontaktsammelsurium, der sich für einen Chemnitzer Besuchertrupp begeistern ließ und uns freudig empfing. Hugues: das ist ein engagierter Allrounder! Mit Wortgewandheit und Humor nimmt er uns mit in einen Teil seiner Welt: so fahren wir mit dem alten Auto seines Sohns nach Janzé - ein kleiner, aber prächtiger Ort in einer Kommune in der Nähe von Rennes, wo Hugues lebt und wo er unter anderem aktiv ist. Wir erleben den Abend in regem Austausch über aller Hand Bauprojekte, Gedanken und Tätigkeiten aus der Vergangenheit und Gegenwart und wo die Reise auch für Hugues gerade hingeht. Der hat sein Leben vor nicht allzu langer Zeit ungemein umgekrempelt und plant schon eine Workshop-Reise nach Senégal: Makerspace-Projekte in niederschwellig durchführen und anleiten: da, wo kein Strom und fließend Wasser vorherrschen und sich die uns gewohnten Alltagsroutinen in Luft auflösen. Hugues ist nämlich auch ein einem französisch-afrikanischen Netzwerk aktiv.

Wir übernachten in seinem alten und geschichtsträchtigen Stadthaus, nachdem wir den Abend im Garten ausklingen lassen und auch bei seinen liebenswürdigen Hühnern Pascal und Mirabelle Hallo sagen. Pascal ist ein starkes Huhn mit kaputtem Bein. Sie kann nicht mehr richtig laufen, konnte es nie. Hugues hat sie aufgepeppelt und allerhand dafür getan, dass sie richtig klarkommt - trotz aller Kritiker und Gegenstimmen, die sagten man solle sie lieber gleich aufgeben. So hat er sogar Prothesen und eine spezielle Eierlegevorrichtung für Pascal angefertigt, um sie zu supporten.

Für Tüftler nicht ungewöhnlich: 3D-Drucker in der Küche :-D

Donnerstag 03.04.2025

Aufgestanden!

Halbwegs erholt vom strapaziösen ersten Reisetag setzen wir uns mit Hugues an den Frühstückstisch und wenig später geht’s los - zurück nach Rennes. Dort haben wir uns als allererstes in Saint-Grégoire einen vorreservierten Mietwagen von SIXT abgeholt. Denn: unsere Rundreise wäre nicht so ohne Weiteres möglich, wenn wir nur mit Öffis fahren würden, da die Zeit nicht reicht bzw. unsere geplanten Orte zu weit auseinander liegen. Wir bekommen einen kleinen, praktischen Peugeot 208 - ausreichend für 3 Leute und unser Kraxengepäck.

1. Lab-Besuch: My Human Kit - das Humanlab im ASKORIA, Rennes

Kurz am Steuer eingegrooved, fahren wir direkt mit Hugues zu My Human Kit. Das ist eine Werkstatt, die vor etlichen Jahren gegründet wurde und ein Vorreiter der Idee eines “Humanlab” ist.

My Human Kit lädt Menschen mit Behinderungen dazu ein, zum Mittelpunkt ihres eigenen Projekts zu werden, d. h. ihre Einschränkung in Motivation umzuwandeln. Sie sollen sich an der Lösung ihres Problems beteiligen und ein Team zusammenstellen, das die kombinierte Kraft der Solidarität (All Together), des Selbermachens (Do It Yourself) und der digitalen Fertigung (FabLab) nutzt.

Ihr Ziel ist die Demonstration und Verbreitung von Humanlabs, in denen Menschen lernen, “sich selbst zu reparieren”. Als Humanlab kann sich prinzipiell jedes Lab nennen, was diese Werte (Agenda) vertritt. Wir haben erfahren, dass es weitere Humanlabs unter anderem in Saint-Pierre, in Quimper (Flux) und in Nantes (APAJH 44) gibt. Eine aufschlussreiche Karte findet man in der MHK-Wiki unter dem Punkt “Le réseau des Humanlabs”.

Wir treffen hier bei MHK viele Leute. So sprechen wir unter anderem mit Nicolas Huchet. Der ist bekannt für seine langjährige Arbeit mit verschiedenen ausgefeilten Handprothesen und zeigt uns unterschiedliche Beispiele zum Anfassen und Staunen. Nicolas ist selbst Betroffener, aber auch sein eigener Problemlöser. Er sagt uns außerdem ganz klar: ein Ort ist dann inklusiv und einladend für Menschen mit Handicaps, wenn der Ort es lebt, versteht und nicht mit hohlen Phrasen propagiert. Wichtig sind also die Leute und Tätigkeiten, die dazu animieren, sich hier angekommen zu fühlen und dazu ermächtigen, sich autonom machen zu können. Menschen mit Behinderungen brauchen keinen “extra Platz”, an dem sie abgeschieden sind. Sie brauchen Inspriration und einen offene Athmosphäre.

Auch am Platz ist Yohann Véron. Das ist ein guter Freund von Hugues und arbeitet ebenso seit vielen Jahren für MHK. Er ist der Lab Manager und zeigt uns verschiedene andere Projekte, die schon realisiert wurden und auch, dass diese sehr gut Open Source dokumentiert werden. Darunter sind viele Spezialanfertigungen wie modifizierte Rollstühle (z.B. Trinkbecherhalterungen, Stützen), Blindenstöcke mit LIDAR-Sensor für die erweitere Umgebungsanalyse und Vibrationsalarm oder auch praktische Helfer für Menschen, die z.B. ihren Arm nicht mehr vollständig bewegen können und auf Apparaturen angewiesen sind, um z.B. Augentropfen gut dosiert zu verteilen. Eine erste große Erkenntnis: Viele Dinge, an die ein Mensch vermutlich in der Regel gar nicht denkt, dass sie gebraucht werden könnten - und dass es Menschen gibt, die sich der Herausforderung annehmen. My Human Kit hat dabei in verschiedenen Kategorien aufgeschlüsselt - u.a. in Sehbehinderung, Einschränkung der Beweglichkeit der oberen Gliedmaßen bzw. allgemeinen Motorik, Taubheit und kognitiven Störungen und Sonstige. Die Wiki wird jährlich auch von Schülern aktualisiert und ergänzt. Leider gibt es sie noch nicht in anderen Sprachen wie Deutsch oder Englisch.

Ein besonderes Projekt, womit wir hier in Kontakt kommen, ist das Gerät “BrailleRAP”, was für Blinde ein interessantes und in Deutschland bisher eher unbekanntes Thema ist. Aber auch dazu später mehr!

Im Gespräch erfahren wir am Rande auch, dass My Human Kit nicht nur ein Humanlab ist, sondern auch Teil des “LabFab” Netzwerks ist. Dazu aber ebenso später mehr.

2. Besuch - Kunstakademie EESAB (École Européenne Supérieure d’Art de Bretagne), Rennes

Nach einer kurzen Mittagspause im Stadtzentrum geht es weiter zur EESAB. Wir sind mit Amélie Tehel, Romain Chefdor und Celia Guye dort verabredet. Amélie ist seit Oktober 2024 Geschäftsführerin des RFF Labs Network, in dem auch Romain und unser Freund Alexandre Rousselet, aktiv sind. Romain ist außerdem in koordinierender Funktion zwischen den LabFabs der Stadt tätig - so ist er auch sehr gut mit My Human Kit und mit der EESAB vertraut. Celia wiederrum ist Designerin und LabFab-Managerin der EESAB, ebenso bei MHK involviert. Wir realisieren schnell: hier sind viele Leute miteinander eng inhaltlich am Zusammenarbeiten und motiviert.

Wir kommen ins tiefere Gespräch über unsere Reiseabsichten und lernen im Austausch viel über die kommunale Zusammenarbeit in den Werkstätten der Stadt Rennes. Ein Abschluss am Ort bildet ein Rundgang durch die mannigfaltigen, separierten und gut eingerichteten Arbeitsorte für die Student/innen (und jeden Dienstag für die Allgemeinheit per offener Werkstatt) für Laser, Holz, Metall, CNC, Hochdruck, Tiefdruck und Keramik.

LabFabs? Was ist das?

Die Stadt Rennes hat eine Spezialität in ihrer Stadt: einen großen und gleichzeitig einen der ältesten Verbünde lokaler Werkstätten, die sich alle zum LabFab-Netz Rennes zusammenschließen. Aktuell gibt es schon 26 verschiedene Orte, die darunter aufspannen. Die Vorteile für die Nutzer/innen ergeben sich dabei in guter Übersicht und Erreichbarkeit, niederschwelligem Zugang und guter Kommunikation untereinander. Eine Karte zeigt das auch online:

Die interaktive LabFab-Karte

FabCity? Was ist das?

Wir haben über Romain weiterhin erfahren, dass Rennes eine FabCity ist - genauso, wie auch Hamburg. Kurzer Exkurs: Die FabCity-Bewegung wurde 2014 auf Anregung des Barcelona FabLab ins Leben gerufen und bringt Gebiete von Städten bis hin zu Regionen zusammen, die auf internationaler Ebene zusammenarbeiten, um neue belastbare Stadtmodelle zu entwerfen und Prototypen davon zu entwickeln, die unter anderem auf den Praktiken von FabLabs basieren. Das FabAccess-Projekt, an dem wir innerhalb unseres Vereins mitarbeiten, war auch an das FabCity Hamburg Projekt “INTERFACER” angekoppelt.

3. Besuch - édulab Pasteur, Rennes

Unser letzter Besuch in Rennes führt uns - zusammen mit Amélie und Romain - zum édulab. Das ist ein Makerspace für Schüler/innen und junge Leute in einem großen, historischen Innenstadtgebäude (es war damals eine Zahnmedizinschule), das von einem Verein betrieben wird. Das Nutzungskonzept wurde zunächst mit Einwohner/innen der Stadt zusammen entwickelt und umgesetzt.

Im Erdgeschoss befindet sich eine Grundschule.

Im ersten Stock gibt es Aufenthaltsräume, Co-Workingbereich, Tauschstationen, eine Bibliothek sowie eine Chill-out Zone.

Einen Stock weiter oben gibt es Ateliers, wo sich Personen für eine bestimmte Projektzeit einmieten können (kostenlos). Es gibt an jeder Tür ein Schild, was anzeigt, ob die die Ateliermieter/innen gerade besucht werden können und sich mit interessierten Menschen austauschen, oder ob sie ungestört weiter arbeiten wollen.

Im Zweiten Obergeschoss gibt es eine Galerie (kostenlose Ausstellfläche) und eine Dachterasse mit offener Küche, wo Leute zusammen kochen und essen können.

Zuletzt befindet sich hier auch das édulab. Das ist ein kleines, klar strukturiertes Lab mit einem Raum für Greenscreening, Videoproduktion und integriertem Podcaststudio. Weiterhin gibt es Workshopräume für Dinge wie education Lego und Makey Makey. Kreative Techniken mit Stickmaschine, RISO Drucker, welcher Siebdruck immitiert und Co. gibt es außerdem als Alleinstellungsmerkmal. Das édulab ist ein Ort, der bevorzugt für Kinder und junge Menschen gemacht ist.

Unser Besuch war eine tolle Erfahrung. Hier sprühte es vor Lebendigkeit vom Boden bis zur Dachkrone.

Eine 360°-Tour kann hier angesehen werden (aus November 2024 - Axel war schon eher da als wir!).

Ausklang im Bistrot Lab in Coësmes

Der Tag bestand aus sehr viel Inputaufnahme und aufmerksamen Folgen, Gesprächen, Übersetzungen, Sortieren und Notieren und jede Menge sozialen Kontakten. Das hat unsere Köpfe zum Rauchen gebraucht. Zum Glück konnten wir das gut kompensieren, weil wir mit Hugues einen Abend im Bistrot Lab in Coësmes verbrachten. Hugues, der vor kurzem das Abenteuer Morradführerschein und -fahren für sich entdeckt hatte und sich ein Motorrad besorgte, lud zu Musik und Essen in Geselligkeit ein und fuhr in das ca. 30 Minuten von Janzé entfernte Dorf. Da fuhren wir direkt von Rennes aus hin.

Das Bistrot Lab ist ein vereinsgeführter Zusammenkunftsort für gemeinsames Musikmachen, mit einer kleinen Bar und für verschiedene Events und Ausstellungen im Obergeschoss. Es wurde nach der Coronakrise gegründet, als der Ort keinen einzigen Laden mehr für die Bürger/innen aufwies und Initiative gefragt war. Die Einwohner/innen treffen sich hier nun regelmäßig und übernehmen selbst Verantwortung, um das Lokal zu betreiben und vorranzubringen. Sehr empfehlenswert!

Freitag 04.04.2025

4. Besuch - La Fabrique (im La Canopée), Janzé

Wake up!

Leider schon am letzten Tag in Janzé aufgewacht, beginnt der Tag etwas hektisch und mit Crossaint im Mund, während wir schon halb im Makerspace La Fabrique stehen, weil wir verschlafen haben. Zu Deutsch “Die Fabrik” ist glücklicherweise nur ca. 5 Gehminuten von Hugues Wohnhaus gelegen und schnell zu Fuß und bei bestem Wetter erreichbar. Es ist ein Space, der direkt in ein kommunal betriebenes Gebäude (“La Canopée”) integriert ist und übersetzt soviel wie “Blätterdach” oder Baldarin heißt. Der Betreiber ist Roche aux Fées Communauté (RAFCOM). Es hält neben dem Makerspace noch weitere Aspekte bereit, wie zum Beispiel einen Coworking Space, ein Gemeinschaftsbüro, eine Arbeitsberatung, eine kleine Bibliothek und einen Open Space (für Events und Ausstellungen).

Kaum angekommen, treffen wir neben einer Gruppe junger Leute, die gerade einen Workshop machen, die beiden Fab Manager Pierre Sesia und Sam Rocheron. Sie führen uns durch ihr Areal, das viele wichtige wie typische Elemente eines Makerspaces inne hat, wie zum Beispiel 3D-Drucker und Lasercutter, Precious Plastik Strecke, Stickmaschine und Tools für Elektronik, aber auch verschiedene Projektanteile aus den Humanlabs. Hier entdecken wir Spannendes wie elektronisch geregelte Handprothesen, einen humanoiden DIY-Roboter in Lebensgröße und unter anderem den BrailleRAP.

BrailleRAP und CCLab

So kommen wir letztlich auch mit Stéphane Godin in Kontakt. Stéphane ist der Software-Maintainer hinter dem BrailleRAP. Das ist eine Maschine, die verschiedene Grafikformate/-dateien per vorhergehendem Post-Processing in Braille-Muster verwandeln kann. Auf diese Weise können Sehbehinderte mit Erläuterung diverse Formen viel besser ertasten. Diese taktile Erfahrung erlaubt zum Beispiel das Erspüren von Formen von Pflanzen, einem Kind im Mutterleib oder verschiedenen Wanderkarten oder auch einer Pariser U-Bahn Karte. der BrailleRAP wurde unter anderem von Hugues Aubin entwickelt und wird aktiv weiter gepflegt. Es ist Teil der Initiative Climate change Lab, wozu Hugues angehört.

Das Climate Change Lab (oder CClab) verbindet das Lokale mit dem Globalen: Die Formate des Climate Change Labs bringen Menschen zusammen, die weit voneinander entfernt sind und lokal zusammenkommen, um Fortschritte zu machen. Es ist eine Utopie, ein Team, eine Gemeinschaft des Teilens und der Kooperation, eine Schmiede von Formaten, die Pädagogik, Prototypenbau und internationale Kooperation miteinander verbinden.

Das BrailleRAP Projekt hat eine eigens gewidmete Webseite und ist Open Source Hardware. Es ist im Grunde ein Plotter, der mit Hilfe eines Elektromagnets keine Halbkugeln (Braille-Punkte) in das Papier prägt - mitsamt Beachtung wichtiger Parameter wie Tiefe, Durchmesser und Abstand. Stéphane erklärt uns einige der Aspekte der Software und zeigt uns auch die verschiedenen Unterangebote und Github-Quellen.

Abschied und Weiterreise nach Nantes

Den ganzen Vormittag in der La Fabrique verbringend, haben wir uns mit Appetit und Hunger noch auf ein paar Galettes und Limonaden mit Stephané und Hugues in einer urigen Créperie verabredet. Im Anschluss hatten wir ein 2-stündiges Meeting mit Mathieu Rietman aus der Nähe von Brest, der eine der nächsten Zwischenstationen auf unserer Reise sein wird.

Schließlich ging es in den alten Hinterhofgarten von Hugues, wo wir mit Kaffee in der Hand die Hühner streichelten, während Hugues und Stephané ihr in Gesprächen angekündigtes, langjähriges Projekt herauskramen: Musik machen mit Pflanzen! Zusammen haben sie ein Arduino-Projekt entwickelt, um Sensoren an Pflanzenteilen anzuschließen und Biosignale in digitale Signale zu wandeln. Diese verwerten sie dann im Midi-Protokoll, um verschiedene Instrumente bzw. Effekte zu kombinieren und wiederzugeben. So entsteht ein harmonisches Klangkonstrukt, wo auch manchmal der begnadete Elektro Music Maker Yohann von My Human Kit mitmischt. Kaum umgedreht, hängten auch schon die Sensoren an einer Palme und die App war ausgepackt. Sie berichten uns, dass sie damit regelmäßig Auftritte haben und sogar in der Philharmonie orchestrierten. Das Ganze haben sie in den letzten Jahren mit Lichtinstallationen an Pflanzen ergänzt und zu einer ganz besonderen Erfahrung reifen lassen.

Stephané, Babette und Hugues lauschen dem athmoshärischen Sound

Ein kleines Beispiel, was eine Geranie so ausspuckt, auf YouTube, oder auch hier.

Leider mussten wir den sonnigen Nachmittag und das Gespräch dann unterbrechen, um unsere Tour fortzusetzen. Nächstes Ziel: Nantes. Hier sind wir gegen Abend eingetroffen und sind bei alten Freunden von Mario untergekommen.

Samstag 05.04.2025

5. Besuch - Blue Lab (im le paquebot), Saint-Nazaire

Das Blue Lab, auch Mitglied im Vulca Netzwerk, ist direkt im Stadtzentrum der großen Hafenstadt Saint-Nazaire (ca. 71.000 Einwohner) zu finden. Entsprechend knapp waren auch die Parkplätze.

Bis vor kurzem war es wegen Umbauarbeiten ein halbes Jahr geschlossen. Als wir kamen, war jedoch schon wieder jede Menge los. Das Blue Lab befindet sich im Erdgeschoss und bietet Werkstätten für CNC-Holzbearbeitung, Laser, Elektronik, 3D-Druck und mehr. Außerdem betreiben sie parallel im gleichen Gebäudetrakt noch einen ca. 500m² CoWorking-Space namens leSPi.

Kaum angekommen, treffen wir hier verschiedenste Personen: Unter anderem den Lab Manager Damien Henry, der uns empfängt. Wenige Sekunden später sehen wir auch Emmanuelle Saunier und ihren Begleiter wieder, die wir bereits letztes Jahr im ZAM Erlangen getroffen haben und merken sofort: Die Welt ist klein.

Kaum vom ZAM gesprochen, kam unser Reisebegleiter Axel Just dazu, den wir ab jetzt ein paar Tage auf unsere Tour mitnehmen und der sein Equipment auspackt, um ein 360°-Fotoshooting der Werkstatt (VR-Tour) anzufertigen. Axel hat französische Wurzeln und ist ein vorteilhafter Vermittler, wenn es darum geht, (technische) Dinge in Französisch, Englisch und Deutsch hin- und her zu übersetzen.

Während wir durch die Räume laufen und über unsere Reise und Absichten sprechen, füllt sich der Raum mit weiteren Leuten, wie man es in einer offenen Werkstatt kennt.

Jonathan Winandy (Board Member) ist einer derjenigen, der uns unter anderem erklärt, dass das Blue Lab regelmäßig eine Offene Werkstatt speziell für Menschen mit Handicaps anbietet. Im Gegensatz zu einer normalen “Offene Werkstatt”-Zeit oder Repair Café Angeboten wird sich hier auf die Bedürfnisse von Leuten mit beispielsweise Seh- und Mobilitätseinschränkungen fokussiert. In dieser Zeit gehört die Aufmerksamkeit ganz und gar hier hin. Es wird z.B. geschaut, ob man in kurzer Zeit und überschaubarem Aufwand spezielle Halterungen für Rollstühle produzieren kann, die die Alltagsprobleme verringern oder es wird nach passenden Konzepten gesucht.
Jonathan erklärt uns außerdem auch, dass es Dinge gibt, an man im Alltag nicht immer denkt: Epilepsie oder beispielsweise die verstärkte Wahrnehmung von Bildflackern von Monitoren und anderen Anzeigegeräten. Es gibt sensitive Menschen, die hiermit große Probleme haben und diese dadurch schneller müde oder krank werden oder die Konzentration verlieren.

Ein weiterer spannender Aspekt ist die gemeinsame Anleiter/innen- bzw. Kursarbeit. Das Blue Lab integriert Menschen mit Handicaps erfolgreich in Workshops, indem sie einen sensiblen Umgang dafür für sich entwickelt haben und von vorhinein auf Bedürfnisse eingehen. Ein Kursablauf ist also kein 0815-Standardkonstrukt, sondern individuell. Das Blue Lab arbeitet außerdem regelmäßig mit Langzeitarbeitslosen zusammen.

Eine 360°-Tour kann hier angesehen werden (diese ist schon älter – Axel war vor ein paar Jahren dort!).

Den Ausklang des Tages übernehmen Christophe Soula vom Blue Lab Board und Estelle mit uns. Wir fahren zusammen zu einer alten U-Boot Schleuse in Saint-Nazaire, sowie zu uralten Salzfeldern in Guérande. Außerdem machen wir einen kleinen Abstecher nach La Baule. Das ist der Ort, wo Axel’s Oma lebt und was auch als “Sylt von Frankreich” bezeichnet wird. Es ist ein Ort mit sehr alten, beschaulichen Häusern und Wäldern. Leider wurden hier in den vergangenen Jahrzehnten aberdutzende Hotels vor die Küste gebaut und nähren nun den Massentourismus. Der Abend endet dann wieder bei unseren Freunden in Nantes.

Sonntag 06.04.2025

Das Wetter ist gut und der Tag nicht mit Arbeit verplant. Mit Freunden im Gepäck laufen wir so durch Nantes und nehmen Eintritt unter anderem in Les Machines de l’île. Es ist eine tolle Tageserkundung mit bestem Wetter.

Riesenkolibri

Montag 07.04.2025

Nach einem Tag Freizeit brechen wir am Morgen des 07.04. auf gen Saint-Nazaire. Wir winken nochmal kurz im Blue Lab vorbei, weil wir Axel einsammeln, der von La Baule aus hergekommen ist. Unser gemeinsames Tagesendziel ist die Stadt Brest, mit Umwegen über Crach und Quimper.

6. Lab-Besuch - UZINOU, Crach

Unterwegs nach Brest liegt der kleine Ort Crach (3.500 Einwohner). Hier befindet sich eine kleine gemeinschaftliche Manufaktur, die an nachhaltigen Produkten arbeitet und soziale und ökologische Werte vertritt und ihr Know-How teilt: Das UZINOU.

Delphine gibt uns (Axel) eine Führung durch die Werkstatt. Hier zu entdecken sind eine große Textilwersktatt und eine Precious Plastic Strecke. Hier kann man vom Schreddern bis zum Extrudieren und Plattenherstellen alles machen. Für eine ausgiebige Erkundungstour hat die Reisezeit nicht gereicht. Axel hat jedoch Fotos für eine 360° Tour gesammelt.

Eine 360°-Tour kann hier angesehen werden.

7. Besuch - Flux / Les Portes Logique / Gwenilli / (Humanlab), Quimper

Mit leider ca. 2 Stunden Verspätung treffen wir in Quimper ein, was auf Deutsch so viel wie “Ende der Welt” heißt.

Unser Ziel ist das Flux. Das ist ein Ort, der viel Wandel hinter sich hat. Neben einer großen Baustelle, wo etliche Leute über Jahre hinweg ein gemeinsamen Haus zum Arbeiten und Wohlfühlen per Komplettsanierung in Eigenleistung geschaffen haben, stecken verschiedene Organisationen, die sich hier zusammengetan haben und gegenseitig beflügeln. So gibt es hier die Hacker/innen und Maker/innen von Les Portes Logique und die interkulturell arbeitende Netzwerkorganisation Gwenilli, die sich unter anderem für europaweiten Jugendaustausch stark macht. Zusammen haben Gwenilli und Les Portes Logique einen weiteren Verein gegründet, der auch wie der Ort heißt: das Flux.

Am Ort angekommen zeigt uns Cathi Schilling von Gwenilli einige Bereiche ihres “dritten Ortes” (third place). So werden Orte genannt, die neben dem eigenen Zuhause, Schule oder Arbeitsplatz einen weiteren Platz bieten, so zum Beispiel für sozialen Austausch, Aufenthalt und Gemeinschaft.

Das Flux vereint unter anderem Ausstellungsbereiche, Lese- und Musikcafé, Humanlab, FabLab, Hackspace, Ateliers, Büros und CoWorking.

Im Biohacklab (Hackspace) sind wir dann auf Laure Bouscasse gestoßen. Sie ist Hackerin und Textilerin und darauf spezialisiert digitale Techniken mit Textiltechnologien zu verknüpfen. Hier entdecken wir mit ihr Gerätschaften wie Strickmaschine, 3D-Drucker, Lasercutter, Elektronikecke, Retrofits, Tufting und mehr.

Im Flux wird auch auf Inklusion gesetzt. Im Flux wird nämlich der Bereich Humanlab ausgebaut und es gibt engagierte Mitglieder, die sich hier verwirklichen. Die Vorreiterin im Flux ist Perrine, die wir leider zeitlich verpasst haben. Unter anderem haben wir eine Strickmaschine entdeckt, welche Blindenschrift stricken kann. Außerdem gibt es interessante Prototypen wie zum Beispiel Geräte, die das einfache Schneiden von Fingernägeln erlauben - für Leute, die zum Beispiel ihre Finger oder Hände nicht mehr vollumfänglich bewegen können oder wichtige Fingerglieder fehlen, die ein gebrauchsübliches Anfassen alltäglicher Gegenstände schlichtweg verhindern. Spannend ist auch ein umgebauter Telefonapparat, der die Vereinsangebote für blinde Personen niederschwellig und leicht zugänglich ansagt.

Im Flux wird auf Manifeste zu Inklusivität, Geschlechtergleichheit und Reparatur von technischen Geräten gesetzt. Damit verbundene Themen sind Feminimus, Diversität oder sozialkritische Auseinandersetzung mit Technik.

Eine 360°-Tour kann hier angesehen werden.

Wer rastet, der rostet - Nächster Ort: Brest bzw. Plougastel-Daoulas

Der Besuch im Flux wurde mit Axels Werkstattshooting beendet und die Weiterreise Richtung Brest eingeleitet ;-) Kurz vor 20 Uhr und nach einigem GPS-Koordinatenchaos haben wir die richtige Straße zu Mathieu Rietman gefunden und sind noch pünktlich angelangt. Wir kommen in seinem Grundstück unter und essen gemeinsam mit seiner Familie zu Abend am nahe gelegenen Strandabschnitt.

Mathieu ist Ingenieur und arbeitet im Rehab-Lab der ILDYS Fondation, wo er für Menschen mit Behinderungen schon seit über dreißig Jahren Spezialkomponenten anfertigt. Mathieu ist aber nicht nur arbeitstätig, Familienvater und begnadeter Gärtner und Naturfreund, sondern auch noch im UBO Open Factory (Université de Bretagne Occidentale) aktiv. Außerdem ist Mathieu noch nebenbei selbstständig und vertreibt eigens entwickelte Module für Rollstühle, um die effizient und niederschwellig zu motorisieren - er vertreibt sie unter dem Name ForceWheel. Diese umfassen alles, was es braucht: Batterie, Motor, Mechanik, Elektronik und Gesamtkonzept. Wir durften das am letzten Tag sogar selbst testen und hatten etwas Spaß bei diesem sehr ernsten Thema.

Exkurs zum ForceWheel

Ein Beispielvideo von ForceWheel.

Die erste von zwei Übernachtungen im Caravan bringt für uns eine Pause vom langen Tagestripp. In völlig natürlicher Nachtstille und Dunkelheit, vereinzelt kristallklaren Uhu-Rufen und sternenklarem Himmel erholen wir uns - etwas Besonderes im Vergleich zum gewohnten Lichter- und Klangmeer der städtischen Ballungsräume, wo es stets etwas zum Orientieren gibt.

Dienstag 08.04.2025

Ein gemeinsames Frühstück bei Mathieu läutet auf zu neuem Informationsgehalt. Im Fokus heute: Das Rehab-Lab in Brest, danach die Open Factory an der UBO.

8. Besuch - Rehab-Lab (ILDYS Fondation), Brest

Mit dem PKW folgen wir Mathieu, der vorraus zum Arbeitsplatz fährt. Das Rehab-Lab ist ein an ein öffentliches Gesundheitszentrum angegliedertes Labor. Hier entwickelt unter anderem Mathieu an Hand von Gesprächen, Analysen, Scans, Abgüssen, Abmessungen und Abnahmen mit Patient/innen unglaublich viele, unterschiedliche Dinge wie Prothesen, Spezialantriebe, Mechanismen, Gestelle, Halterungen und mehr. Eine Führung durch die Räume offenbart die Vielfalt und auch das wissenschaftlich-technische Methoden- und Konzeptewerk dahinter. Mathieu ist leidenschaftlicher Anwender von Fusion 360 und modelliert viel und umfangreich in 3D. Für die Umsetzung von Prototypen und Einzelstücken hat er Zugriff auf unterschiedliche Werkstattbereiche, wie zum Beispiel eine kleine 3D-Drucker Farm und zum Beispiel Gerätschaften für die Holz- und Metallbearbeitung oder verschiedene Lasercutter. Pragmatisch entwickelt er gern mit kostengünstigen Materialien, die leicht und schnell verfügbar sind und ebenso erschwinglich. Im intensiven Gespräch erfahren wir zunächst den Unterschied der Begriffe Orthese und Prothese: Orthesen sind Ergänzungen, die für Entlastung, Stützung oder Korrektur von Körperbereichen dienen, während Prothesen für fehlende oder gestörte Körperteile dienen.

Akzeptanzkriterien und Sinnhaftigkeit

Dabei kommt es laut Mathieu auf sehr viele unterschiedliche Punkte an, die eine Prothese oder Orthese gut und zweckmäßig machen:

  • schmerzt nicht beim Benutzen
  • hat ein passendes Gewicht und stört im Alltag nicht
  • erfüllt seine Funktion klar
  • ist reproduzierbar (Normteile, Standardwerkstoffe, einfache Fertigungsverfahren, etc.)
  • ist preiswert
  • ist aus kompatiblen Werkstoffen gefertigt (Thema Allergien und Unverträglichkeiten)
  • passt sich auch Veränderungen an, ist also flexibel (Menschen wachsen, altern, nehmen zu oder ab)
  • weist möglichst geringe Komplexität auf: wenig verschiedene Teile, wenig Spezialteile
  • lassen sich schnell und iterativ entwickeln
  • uvm.

Mathieu schwärmt dabei vor allem von Technologien wie 3D-Druck mit PLA und TPU, Laserschneiden und dem Arbeiten mit PE/PP Schäumen, sowie stabilen wie leichtgewichtigen Kunststoffrohren und Klemmen, wie z.B. von Manfrotto.

Werden einer oder einige dieser Punkte missachtet, macht es das für den/die Patienten/innen in der Regel auf kurze Sicht unzufrieden und die Anfertigung verliert Akzeptanz und Existenzberechtigung (und hat dann ggf. nur Aufwand und Kosten erzeugt). Aus wirtschaftlichen Gründen heraus ist es außerdem problematisch, wenn Kundenlösungen extrem aufwendig (zeitintensiv) erdacht werden müssen, da die Arbeitszeit von Konstrukteur/innen ein diktierender Kostenfaktor ist. Das ist vorallem dann der Fall, wenn es schwierige Bedingungen, viele Bauteile und teure Spezialkomponenten oder neuartige Firmware/Software bedarf.

Diese und weitere genannte Fakten allein sind jahrelange praktische Erfahrung in sich vereint, die man nicht käuflich erwerben kann und nur durch das Zusammenarbeiten mit vielen Menschen und Patient/innen nennenswert besser machen kann. Darunter fällt natürlich jedoch auch die Arbeit mit standardisierten Werken, die es gibt, um Konstruktionskonzepte oder fertige Komponenten - also das Rad - nicht neu erfinden muss. Nennenswerte Beispiele sind eastin.eu und rehadat.de.

Stichwort Autonomie

Eine wichtige Notiz, die wir von Mathieu mitmeißeln: Die Autonomie für behinderte Menschen sollte so früh wie möglich hergestellt werden, indem diese aktiv in Bewegung gebracht werden und schnell passende Hilfsmittel erhalten, mit denen sie schon ab der Krabbelphase lernen können, mit ihrer speziellen Situation umzugehen und dies zu verinnerlichen.

Verantwortungsvoller Einsatz

Da wir selbst mit 3D-Druck und IoT-Themen zu tun haben erfreut es uns zu lernen, dass es neben viel zu häufig für Schnickschnack verwendete Produkte wie 3D-Drucker und Heimautomatisierungsmodule auch wirklich nutzbringende Szenarien gibt, an die auch hier mit Sicherheit die wenigstens denken - inbesondere eben dann, wenn es dadurch ermöglichbar ist für Menschen mit Behinderung kostengünstige Dinge anzufertigen oder ein Stück Unabhängigkeit zu erzeugen - zum Beispiel, indem eine Tür zuhause automatisch durch einen Gelenkmechanismus geöffnet wird, wenn durch Sprachsteuerung oder ein einfaches Schalterdrücken im Rollstuhl der entsprechende Befehl gegeben wird.

Mobilität für Mobilität

Die ILDYS Stiftung ist nicht nur an einen Ort gebunden. Neben generell verschiedenen Standorten in verschiedenen Städten besitzt sie außerdem in Kooperation mit der UBO einen eigenen Transporter mit dem Name “Breizh Fabribus”. Mit dieser mobilen Werkstatt mit dem Slogan “Die Autonomie auf der Straße” gehen Mathieu und Kolleg/innen regelmäßig auf Ausfahrt in verschiedene Gebiete in der Betragne, die weniger gut für Behinderte erreichbar sind und sie bieten Beratung und unter anderem “Quick Fixes” und Workshops an. Wir durften selbst hineinschauen und mitfahren.

9. Besuch - UBO Open Factory, Brest

Am Nachmittag statten wir der Universität der Westbretagne einen Besuch ab. Ziel ist die Open Factory.

Kaum angekommen (und wieder mit Verspätung), sind wir schon direkt integriert in den gerade stattfindenden 1,5h Inkscape Einsteigerkurs auf Französisch, zusammen mit einer Hand voll weiterer Teilnehmer/innen. Adamou Amadou Soley begrüßt uns deshalb eher kurz und drückt uns sogleich Laptops in die Hand - mit französischem Tastaturlayout :-D.

Wir verbringen letztlich den gesamten Nachmittag bis frühen Abend hier. Nachdem der Kurs vorbei ist, ist Zeit für ausführliche Dialoge.

Axel, wieder in seinem Element für virtuelle Realität, beginnt mit der Aufnahme von Fotos. Babette und Mario reden mit Adamou, der unterschiedliche Erzeugnisse zeigt, die an der UBO unter anderem mit Hintergrund der gemeinsamen Kooperation von ILDYS erschienen sind. Dabei sind ganz verschiedene Dinge, wie zum Beispiel optisch schöne und haptisch nutzvolle Kartenspiele, die auch Blinde benutzen können. Auch dabei sind Handprothesen und modifzierte Blindenstöcke.

Adamou ist selbst auf Gehhilfen angewiesen, lässt sich jedoch nicht entmutigen. Im Gegenteil: er ist vollkommen integriert und ist der Fab-Manager der Open Factory.

Inklusivität an der Hochschule

Nicht nur das UBO hat mit diesem Thema etwas zu tun. Generell hören wir von Anne-Emmanuelle Le Minous, dass die Hochschule vor kurzem eine Förderzusage für ein dreijähriges Vorhaben bekommen hat, um das Gebäude grundlegend inklusiver zu gestalten. Dabei soll es vorallem darum gehen, dass von Anfang an Menschen mit verschiedenen Handicaps, also die echten Nutzer/innen bzw. Betroffenen, selbst mit gestalten können, um die bestehenden Schwachstellen im Gebäudekomplex zu identifizieren und anzugehen. Denn das Problem, wie Anne uns erläutert, ist häufig, dass Gebäudeteile, Wege und Beschilderungen, akustische Ansagen, Braille-Markierungen, etc. für Behinderte nach Norm gebaut werden, aber ohne Integration der Beteiligten im laufenden Prozess, die jedoch wertvolles Feedback für die verorteten Lösungen geben können und zudem die entstehenden Lösungen auch mehr als ihre eigenen sehen/fühlen würden. Hier geht es also nicht nur um Substanzbau, sondern um Inklusion. Als Verein wissen wir mittlerweile selbst ganz gut, wie wichtig es ist, wenn bei der Planung und Umsetzung von Baumaßnahmen möglichst frühzeitig eine vertrauensvolle Kommunikation aufgebaut und erhalten wird. Anderfalls fehlt es später an Akzeptanz, Zeit und Geld gehen verloren und vieles muss noch einmal neu gemacht werden. Ähnlich, wie Mathieu es beschreibt, ist also Sinnhaftigkeit und Zielerfüllung ein sensibler Prozess.

Tierische Fab Member

Während unseres Aufenthalts erleben wir noch eine weitere Kuriosität. Alain Theillier, auch engagiert in der Open Factory, ist Pfleger eines ganz besonderen Vogels. Er hat eine sehgeschwächte Möwe immer mit dabei, die als zahmer Begleiter auch die Werkstatt immer zum fröhlichen Ort macht - denn kaum einer kann den wohligen Federfreund Arec le goéland ignorieren. Alain bekam eines Tages am eigenen Küchenfenster Besuch von der Möwe, die letztlich immer öfter kam, bis sie blieb. Es ist eine enge und besondere Freundschaft geworden, über die sogar derzeitig ein Film gedreht wird.

Mittwoch 09.04.2025

Der Mittwoch begann mit dem morgentlichen Abschied von Mathieu. Nachdem wir unser Geraffel eingepackt und im Auto verstaut hatten, begann die Fahrt mit dem Zwischenziel Morlaix. Wir laden Axel beim Bahnhof ab, damit er Maik weiter im Süden begleiten kann. Sie treffen sich gemeinsam in Paris und fahren weiter zu den Makers de Montagnes in Manzat.

Der Tag erstreckte sich mit recht viel Zeit am Steuer und in der Bahn: In Rennes gaben wir den Leihwagen wieder ab und setzten uns in den Zug nach Paris Montparnasse. Unsere Unterkunft erreichten wir letztlich erst gegen 20 Uhr.

Donnerstag 10.04.2025

10. Besuch - E-FABRIK, Drancy

Nach ein wenig Suchen und Telefonieren gefunden: Die E-FABRIK. Erst zwei Tage zuvor war bereits Maik hier zu Gast, denn seine Süd-Tour hat auch einen Hakenschlag über Paris genommen.

Wir begegnen hier zunächst Pierre Berrier, der uns den Ort des Geschehens zeigt und erklärt, was die E-FABRIK alles macht bzw. wofür sie steht. Pierre rekapituliert, dass die E-FABRIK ein Treffpunkt ist, der sich 2015 zunächst als mobiles Projekt in verschiedenen FabLabs ausprobierte. Die Gründer/innen, die Organisation TRACES, hatten im Wesentlichen einen Kerngedanke, den sie in etwa so zusammenbringen zu versuchten: Man nehme einen gut ausgerüsteten und für Anwohner/innen erreichbaren Makerspace und entwickelt dort mit einer Gruppe von jungen Leuten gemeinsam etwas für Menschen mit Behinderung. Diese jungen Leute - häufig aus dem Programm eines zweiten Bildungswegs (School of second chance) - lernen sich so kennen und durch das FabLab werden sie ermutigt, zu erproben, wie technische und soziale Fragestellungen durch Eigeninitiative selbst lösbar werden. Sie erlernen den Umgang mit typischen digitalen wie handwerklichen Arbeitsmitteln wie 3D-Druckern, Laserschneider oder Lötkolben. Sie eignen sich dabei auch den Umgang mit Software wie z.B. CAD und Design, Schaltpläne und Coden in IDEs an. Sie trainieren ebenso das allgemeine Organisieren, wie zum Beispiel das förmliche Anschreiben mit Emails, Kalender planen und Workshops mitgestalten und das soziale Interagieren mit verschiedensten Altersgruppen. Was sie außerdem dabei zu verstehen lernen sind die verschiedene Alltagsabläufe von gehandicapten Bürger/innen, die teilweise auch in Wohngruppen untergebracht sind und auf welche Herausforderungen sie als weniger autonome Personen im Leben gestellt werden.

Durch das kontinuierliche Feedback der Anleiter der E-FABRIK, den Input der Behinderten und die Kreativität der Gruppe entwickeln sie so innerhalb von ca. einem halben Jahr Prototypen, die praktisch helfen sollen. Und weil das funktioniert, wurde die E-FABRIK 2018 als fester Standort in Drancy eröffnet. Seitdem gibt es dieses Anleiter- und Lernprogramm regelmäßig. Dabei sind es derzeit ca. 4-5 Gruppen mit jeweils 2-3 jungen Menschen.

Maxim und Arnaud, auch zum E-FABRIK Team gehörend, zeigen uns so gleich den Ort des Geschehens und bringen uns auch ins Gespräch mit den Absolventen, die spürbar gelockert ins Gespräch mit uns gehen. Es dauert nicht lange, bis wir den Einsatz von Open Source Tools wie Inkscape entdecken und gleich etwas Contribution in Form einer Mightyscape Installation auf einem Windows System anstoßen.

Freitag 11.04.2025

Heute ist Freizeit angesagt! Wir erkunden Paris zu Fuß und mit der Metro. Mit im Tagesplan: Cité des Sciences et de l’Industrie.

Samstag 12.04.2025

Die Rückreise mit dem Zug von Paris nach Chemnitz steht an. Mit pünktlicher Verbindung bis Mannheim glauben wir noch, dass wir noch am gleichen Tag zu Hause ankommen werden. Mit über 2 Stunden Verspätung und Umleitung des Zuges nach Leipzig über Kassel wegen Unfall auf der Fahrbahn und bereits vorrangegangenen Verspätungen wegen Schäden am Zug fährt uns letztlich ein Taxi von Leipzig bis Chemnitz. Vollkommen übermüdet fallen wir wieder ins Bett und verarbeiten unsere Reise.

Anmerkungen am Rande

Natürlich haben wir während der Tour auch viel von Chemnitz erzählt. Um das plastisch zu untermauern hatten wir auch ein paar nette Gastgeschenke für jeden dabei. So hat neben Stickern der beliebte Miniatur Karl Marx von Tino für seine additive Drei-Deeh-Stadt geworben und die vor kurzem vom Bordsteinlobby e.V. iniitierte Stadtkarte ChemnNetz untermalt unsere schönen Orte, die schon bald von hoffentlich einigen französischen neuen Freunden besucht werden. Wir würden uns freuen.

Außer Axel spricht niemand von uns französisch. Das machte uns am Anfang etwas Sorgen. Diese waren jedoch unbegründet, wie wir schnell bzw. immer wieder feststellten. Die jüngeren Generationen in Frankreich sprechen fließend und sehr gut Englisch, ein paar sogar etwas Deutsch. Es gelang uns sehr gut, uns mit anderen auszutauschen und waren sehr positiv überrascht.

Unterstüzung / Förderung

Das Projekt wird im Zeitraum von April bis Juli 2025 vom Deutsch-Französischen Bürgerfonds (Fonds Citoyen Franco-Allemand) unterstützt. Unsere Unterstützer und Wegbegleiter sind neben dem französischen Partnernetzwerk RFF Labs, der deutsche Dachverband Verbund Offener Werkstätten e.V. und die europäische Vulca Organisation für internationale Beziehungen zwischen offenen Werkstätten (aka Makerspaces), wo wir selbst auch Mitglied sind.

Wir danken für die finanzielle Unterstützung und den großartigen Netzwerkaustausch, der bereits einige Monate vor der Reise durch das Engagement vieler Leute, insbesondere durch RFF Labs und VULCA, möglich gewesen sind.

Zu guter Letzt ein Clip über den Fonds Citoyen Franco-Allemand:

Danke außerdem an Axel vom Zentrum für Austausch und Machen (ZAM) und den Industrieverein Sachsen 1828 e.V. für die Tippgebung bei der Möglichmacher-Aktion von Sachsenlotto. Ein Teil der Mittel fließt in dieses Projekt.

Zurück in Chemnitz

Gestern gab's die erste gemeinsame Auswerterunde mit Maik. Der hat uns auch Hugues CCLab Mütze mitgebracht ;-) Zu nächster Gelegenheit erfahrt ihr mehr zum Reiseteil Nummer zwei von Maik, welcher fast doppelt so viele Orte wie wir besucht hat.

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